Satzzeichen-Serie (Folge 3): Ausruf der Wildnis

Ausrufezeichen

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„Stellt Eure dreckigen Tassen doch bitte in die Spülmaschine!!!“ Ein Assi kommt selten allein. Also ich meine jetzt nicht die Küchenbenutzer, die ihre Tassen einfach auf die Spüle stellen, sondern das Ausrufezeichen. Wenn sprachlich angeschrien wird, ist es immer gern mit dabei. Mit diesem Satzzeichen will der Schreiber seiner Aussage noch mehr Gewicht geben. Und doch erreicht er eher etwas anderes: Es wird nicht überzeugender, es wird hysterisch – geradezu aggressiv. Und er macht es noch schlimmer, wenn er den Macho unter den Satzzeichen gleich im Trio oder Quartett auftreten lässt. Sehr abschreckend. Da schüttelt man den Kopf oder legt den Text direkt weg. Bei Assis in Gruppen wechselt man ja auch lieber die Straßenseite.

Sicher, auch ein Ausrufezeichen hat seine Daseinsberechtigung. In der Regel kommt es, lehrt uns der Duden, nach Aufforderungs-, Wunsch- und Ausrufesätzen:

  • Räum‘ sofort deine hässliche Tasse in die Spülmaschine!
  • Pst!
  • Was erlaubst du dir eigentlich!
  • Hau ab!
  • Aua!
  • Das sag ich dem Chef!
  • Blöde Kuh!

Aber in Presse- und PR-Texten (und generell in Sachtexten) kommen solche Sätze kaum vor und daher finden sich auch dort weniger Ausrufezeichen. Und hinter den folgenden Sätzen hat es nichts zu suchen, selbst wenn die Aussage dem Schreiber sehr wichtig ist:

  • Der Vorstandsvorsitzende erläuterte den Jahresumsatz!
  • Wir bieten alle Leistungen aus einer Hand!
  • Neue Öffnungszeiten!!!
  • Für weitere Fragen stehen wir zur Verfügung!
  • Im kommenden Jahr wird das Unternehmen zwei neue Filialen in Schweden eröffnen!

Jemand erklärte mir mal, dass gerade Frauen Sätze gern mit Ausrufezeichen abschließen. An diesem Satzzeichen-Sexismus möchte ich mich nicht beteiligen. Obwohl ich mir schon vorstellen kann, dass den hysterischen Tassen-Anschiss eine Kollegin an die Schranktür gehängt hat. Der Gedanke kam mir gleich, als ich letztens meine Nikolaus-Tasse auf die Spüle stellte. Frohe Weihnachten! (!)

Bereits erschienen in dieser Serie
Weder Fisch noch Fleisch – das Semikolon
Jetzt mach‘ aber mal ‘nen Doppelpunkt!

Zeichnung: Volker Lahr